Herr Hamidian, vor zehn Jahren musste die BearingPoint Inc. – der ehemalige Beratungsarm der Prüfungsgesellschaft KPMG – Insolvenz anmelden. Wenig später haben sich Peter Mockler – Ihr Vorgänger an der Spitze der Firma – und über 100 weitere Partner von BearingPoint zusammengetan und das europäische Geschäft der Firma im Wege eines Management Buy-out aus der Insolvenz herausgekauft. Sie waren damals mit dabei. Wie war das?
Hamidian: Sehr spannend, da wir uns für die Zukunft neu aufgestellt haben. Ganz praktisch: Wir Partner haben uns zusammen getan und die Finanzierung gesichert.
Das war sicher kein Kinderspiel – im Jahr 2009, kurz nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers und inmitten der Finanzkrise …
Nein, das war alles andere als einfach.
Aber jeder von uns war absolut überzeugt von dem, was wir damals taten.
Hatten Sie selbst keine Alternativen, andere Angebote?
Natürlich hatten wir Angebote. Die kamen aber für uns nicht in Frage. Wir wollten gemeinsam, als eine Partnerschaft, die neue BearingPoint schaffen. Diese Perspektive erschien mir weitaus attraktiver.
Warum?
Da waren vor allem die positiven Reaktionen unserer Kunden. BearingPoint hatte bereits damals einen engen Kontakt zu seinen Auftraggebern, und das ist auch heute noch so. Dazu kam unser Teamgeist, der Zusammenhalt unter uns Beratern. Und nicht zuletzt die überzeugende, mitreißende Führung von Peter Mockler und anderen. Kurz gesagt: Wir waren fest davon überzeugt, dass wir das packen werden.
Im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kollegen waren die Berater von BearingPoint in Europa durchaus erfolgreich.
2008 war unser bestes Jahr seit der Abspaltung von KPMG – wenn da nicht eben die Probleme der US-Muttergesellschaft gewesen wären, die Insolvenzschutz beantragt hatte.
BearingPoint erzielte 2017 mit über 4300 Mitarbeitern 712 Millionen Euro Umsatz – 13 Prozent mehr als 2016. Welchen Umsatz haben Sie 2018 eingefahren?
In Deutschland – unserem wichtigsten Markt – war 2018 wieder ein gutes Jahr. In einigen anderen Ländern lief das Geschäft sogar wesentlich besser als 2017. Das gilt selbst für schwierige Märkte wie Russland. Unser dortiges Team schlägt sich hervorragend. Dort sind es aber die Wechselkurse, die uns Kopfzerbrechen bereiten. Das Geschäft selbst läuft gut.
BearingPoint will 2020 die Umsatzschwelle von einer Milliarde Euro überschreiten. Inzwischen ziehen aber dunkle Wolken am Konjunkturhimmel auf. Halten Sie dennoch an dem Ziel fest?
Ja, das tue ich.
Was macht Sie so optimistisch?
Ich glaube, dass die Nachfrage weiter auf hohem Niveau bleibt – insbesondere wenn es um Digitalisierung, Services oder Analytics geht. Und dann gibt es ja auch noch den Trend rund um SAP Hana …
… ein Produkt des Walldorfer Softwareriesen SAP …
Wir registrieren hier viele entsprechende Anfragen. Stark ist auch die Nachfrage nach Projekten, bei denen es um eine Transformation der IT-Systeme geht, um Customer Experience oder um Robotics.
Fest steht jedoch, dass die Investitionsfreudigkeit nicht mehr so stark ist wie noch vor einigen Monaten.
Die Unternehmen sind vorsichtiger geworden – zumindest in bestimmten Industrien. Der Appetit auf Großprojekte ist überschaubar. Es gibt nur noch wenige Kunden, die unbeirrt millionenschwere Aufträge vergeben und starten. In der Summe aber ist der Bedarf im Sinne von Innovation und der Etablierung neuer Geschäftsmodelle noch immer sehr groß. Es geht für uns jetzt vor allem darum, den Unternehmen schnelle Lösungen für konkrete Probleme aufzuzeigen.
BearingPoint ist vor allem in Europa stark, aber weit davon entfernt, ein Global Player zu sein. Können Sie auf Dauer mächtigen Konkurrenten wie Accenture oder den vier großen Prüfungsgesellschaften mit ihren Beratungstöchtern Paroli bieten?
Sicher. Wir haben letztes Jahr in über 70 Ländern der Welt Projekte gemacht. Das heißt aber nicht, dass wir in allen diesen Ländern eigene Büros brauchen. Wir haben jedenfalls keine Ambitionen, überall auf der Welt groß zu investieren und Präsenz zu zeigen. Nur in zwei außereuropäischen Märkten engagieren wir uns mit Nachdruck, das sind die USA und China. Das tun wir aber nur deswegen, weil unsere Kunden das so wollen. Für sie sind die beiden Länder wichtige Märkte. Und wir müssen deshalb auch hier eine bestimmte kritische Größe haben. Ansonsten aber fokussieren wir uns weiter auf Europa. Und hier gibt es ja auch immer noch Märkte, wo wir noch Luft nach oben haben.
Welche?
In Belgien haben wir kürzlich Inpuls übernommen – einen Spezialisten für Informationsmanagement und Datenwissenschaft. Durch den Zukauf verdoppeln wir unsere dortige Präsenz. Wir wollen auch in Großbritannien wachsen, insbesondere im Finanzdienstleistungssektor. Oder in Holland.
Inpuls beschäftigt gerade einmal 15 Berater. Mit Blick auf das hoch gesteckte Umsatzziel von BearingPoint: Wollen Sie nicht eine größere Firma kaufen?
Nein. Unsere Wachstumsstrategie ist sehr fokussiert oder, anders gesagt, selektiv. Wir wachsen nicht um des Wachstums willen, sondern ergänzen uns dort, wo wir einen strategischen Fit sehen. Zudem ist unser Ziel, profitabel zu wachsen. Wir wollen unser Unternehmen aber nicht massiv verschulden, nur um an Größe zu gewinnen.
Zurzeit vergeht kaum ein Monat, ohne dass eine der großen Prüfungs- oder Beratungsfirmen ein kleineres Beratungshaus oder einen Spezialisten übernimmt. Wie oft hat man deswegen schon bei BearingPoint angeklopft?
Jeder Marktkenner weiß, dass wir nicht zum Verkauf stehen. Und alle Partner von BearingPoint sind sich einig, dass wir ein unabhängiges Beratungshaus sind und bleiben.
Wie lange wird das so bleiben?
Zumindest solange ich Managing Partner bin.
Sie sind seit dem 1. September Chef von BearingPoint. Was machen Sie anders als Ihr Vorgänger?
Wir haben inzwischen ein sehr starkes Software-Geschäft. Früher befanden in unserem Software-Portfolio vor allem die Anbieter SAP und Salesforce, mittlerweile arbeiten wir mit den Produkten von mehr als 60 Technologiepartnern. Und in diesem IT-Ökosystem befinden sich heute eben nicht nur die bekannten, großen Anbieter, sondern auch Produkte von vielen kleineren und mittelgroßen Anbietern. Wir werden dieses Ökosystem nicht nur konsequent weiter ausbauen, sondern auch so gestalten, dass sich BearingPoint besser von seinen Wettbewerbern abhebt, gerade auch mit Blick auf die aktuelle Digitalisierungswelle.
Welche Strategie verfolgen Sie mit Blick auf Ihre IT-Services und Software-Lösungen?
Wir sind dabei, auch auf diesen Gebieten ein starkes Geschäft aufzubauen. Wir werden alles tun, um unser entsprechendes Angebot zu internationalisieren und hier zu wachsen.
Als mittelgroßer Spieler auf dem Beratungsmarkt werden Sie Schwerpunkte setzen müssen.
Wir konzentrieren uns zurzeit vor allem auf Business Intelligence und Robotics. Wirklich spannend wird es aber, wenn wir uns an den darauf basierenden Lösungen aktiv beteiligen.
Beispiel?
In Südkorea haben wir uns an Insignary beteiligt – einem führenden Spezialisten für Lösungen rund um das Thema Cyber Security. BearingPoint ist der exklusive Partner dieses Unternehmens in Europa.
Berater betonen zumeist ihre Unabhängigkeit und Objektivität. Beteiligungen aber führen zu Abhängigkeiten. Ist das kein Problem für Sie?
Nein. Wenn es um die Produkte der großen Softwareanbieter geht, sind wir vor allem und in erster Linie als neutraler Berater tätig.
Und unsere Ventures betreffen Nischenanbieter wie Isignary. Auf diesem Gebiet gibt es keine Konflikte mit anderen Anbietern.
Wie unterscheidet sich BearingPoint von anderen mittelgroßen IT-Beratern?
Da gibt es viele Dinge. Wie gesagt: Wir sind stolz auf unsere Firmenkultur, unseren Zusammenhalt. Aber wir haben darüber hinaus auch bestimmte Kompetenzen, die man bei anderen Firmen zumindest nicht so vorfindet wie bei uns.
Welche?
Die Analysten von Marktforschungsfirmen wie Gartner oder Forrester bescheinigen uns, dass wir bei unseren Kunden jene Themen identifizieren können, die sich zur Steigerung der Wertschöpfung eignen. Wir beschäftigen uns im Rahmen von Consultingprojekten mit bestimmten Themen, entwickeln passende Solutions oder Services und bieten diese dann mit Erfolg auf dem Markt an.
Können Sie mir ein Beispiel nennen?
Vor einigen Jahren hat uns das Management eines großen Handelskonzerns angesprochen. Wir sollten den Managern dabei helfen, einen Emissionsreport für die LKW-Flotte ihrer Logistikgruppe mit über 300 LKW zu erstellen. Wir haben zunächst eine Excel-Tabelle erstellt und schließlich eine attraktive, sehr innovative IT-Lösung auf der Basis von SAP Hana entwickelt. Und wir haben schnell erkannt, dass das ein hoch aktuelles, marktrelevantes Thema war. Schließlich müssen ja viele Unternehmen ihre Emissionen in den Geschäftsberichten ausweisen
Wie ging es weiter?
Heute nutzen unsere Lösung weltweit zahlreiche bekannte Unternehmen und wir sind Marktführer auf diesem Gebiet. Wir bieten weltweit Emissionskalkulationen an.
Und Sie haben Ihren Pilotkunden an den entsprechenden Umsätzen beteiligt?
Unsere Kunden wollen eine schnelle, überzeugende Lösung für ihre Probleme. Und dann konzentrieren sie sich wieder auf ihr Kerngeschäft – so wie zum Beispiel die Verlagsgeschäftsführung einer französischen Wirtschaftszeitung.
Welches Problem haben Sie dort gelöst?
Die Verlagsmanager haben uns gesagt, dass sie die frisch gedruckten Zeitungen jeden Morgen an die Kioske liefern. Die Exemplare, die nicht verkauft worden sind, bekommt der Verlag zurück. Und weil das viel Geld kostet, statt Geld einzubringen, suchten die Manager nach einem Weg, die Zahl der Rückläufer möglichst gering zu halten. Hierfür haben wir eine entsprechende Lösung entwickelt.
Wie sieht diese Lösung aus?
Im Kern geht es dabei um einen Algorithmus, bei dem verschiedenste verkaufsrelevante Faktoren berücksichtigt werden, etwa das Wetter, aber auch besondere Ereignisse wie Fußballspiele oder Streiks. Darauf basierend erstellen wir für den Verlag jeden Morgen einen detaillierten Report mit den voraussichtlichen Bedarfszahlen für die Belieferung der Kioske. Unsere Auftraggeber sind an dem Report interessiert, ob wir die Lösung weiter vermarkten, spielt für sie keine Rolle.