Herr Dr. Goeldel, eine gefühlte Mehrheit in Deutschland würde es begrüßen, wenn Regierungschefs maximal zwei Amtszeiten absolvieren, so wie in den USA. Keinesfalls sollte jemand jahrzehntelang auf dem Chefsessel kleben dürfen – so wie in Deutschland. Was meinen Sie?
Es gibt gute Argumente für das deutsche Modell, etwa die Stabilität und die Kontinuität in der Politik. Das amerikanische Modell hat dagegen den Vorteil, dass ein Präsident in seiner zweiten Amtszeit auch eine Politik betreiben kann, in der er keine Rücksicht auf eine Wiederwahl nehmen muss.
Und wenn Sie sich jetzt für ein Modell entscheiden müssten?
Das kann man nicht pauschal beantworten. Wir selbst haben uns dafür entschieden, Führungspositionen in unserer Organisation nach einer gewissen Zeit neu zu besetzen.
Im Gegensatz zum Kommen und Gehen bei vielen Ihrer Konkurrenten herrschte bei Egon Zehnder lange Jahre überwiegend Kontinuität in der Personalpolitik. Fritz Boyens etwa führte zwölf Jahre lang die Geschäfte von Egon Zehnder in Deutschland. Warum aber musste Ihr Vorgänger Michael Ensser nach nur sechs Jahren seinen Posten räumen?
Diese Lesart teile ich nicht, im Gegenteil. Michael Ensser ist nach mehr als sechs erfolgreichen Jahren an der Spitze
der deutschen Organisation ins globale Board aufgerückt. Zum ersten Mal wirkt damit ein deutscher Partner in diesem höchsten Entscheidungsgremium mit, das man nicht mit einem Aufsichtsrat verwechseln darf. Wir haben unsere Corporate Governance dahingehend geändert, dass niemand eine Funktion länger als sechs Jahre ausüben soll. Diese weltweite Anpassung trägt übrigens auch Michael Enssers Handschrift.
Wurden Sie selbst von den Partnern Ihrer Firma zum Deutschlandchef gewählt?
Unsere Governance sieht nur die Wahl des globalen Chair vor. Länderchefs werden hingegen vom CEO ernannt. Konkret heißt dies, dass unser CEO Edilson Camara mich nach intensiver Abstimmung mit den deutschen Beraterinnen und Beratern und dem globalen Board benannt hat.
Bei Egon Zehnder Deutschland endet das Geschäftsjahr jeweils am 31. Oktober. Wenn Sie zurückblicken: War das Geschäftsjahr 2018/2019 ein gutes Jahr?
Wir sind wirklich zufrieden. Wie Sie wissen, kommunizieren wir seit vielen Jahren nur unsere globalen Zahlen in den Medien, jeweils im Frühjahr.
Als GmbH unterliegt Egon Zehnder in Deutschland der Pflicht, seine Geschäftszahlen zu publizieren – wenn auch mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Der Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2017/2018 ist kürzlich veröffentlicht worden. Demnach haben Ihre Consultants nur ein bescheidenes Plus erwirtschaftet. Der Honorarumsatz stieg lediglich um rund fünf Prozent auf knapp 92 Millionen Euro. In den Vorjahren konnte Egon Zehnder in Deutschland zumeist zweistellig zulegen.
Wir haben etliche Rekordjahre hinter uns und sind mit großem Abstand Marktführer. Da sind fünf weitere Prozent nicht wenig.
80 Prozent Ihres Umsatzes erwirtschaften Ihre Berater nach wie vor mit Executive Search und Board Consulting, also der Suche nach Führungskräften sowie Aufsichts- oder Beiräten. Doch gerade dieser Markt ist immer härter umkämpft. Warum gelingt es Ihnen nicht, die Nachfrage nach anderen Leistungen anzukurbeln?
Die Nachfrage nach Leadership Advisory Services steigt deutlich, und wir haben unsere Kompetenzen in diesem Bereich stark weiterentwickelt. Wir haben mittlerweile ein Team von Experten aufgebaut, die an den verschiedenen Fragen der Entwicklung von Individuen und Führungsorganisationen arbeiten. Damit können wir unsere Klienten bei der ganzen Palette von Fragestellungen im Bereich Führung unterstützen.
Um welche Fragen geht es dabei?
Es geht letztendlich immer um Führung in einem sich extrem verändernden Umfeld, das heißt, um die Entwicklung der Führungskompetenzen des einzelnen Managers, aber auch um die ganzer Managementteams, bis hin zur Veränderung einer Führungsorganisation. In diesen Zeiten ist die Entwicklung von Managern, Organisationen und Kulturen zur entscheidenden Führungsaufgabe geworden.
Inwiefern hat sich das Umfeld verändert?
Die Stimmungslage hat sich deutlich verändert. Es gibt eine wachsende Unsicherheit in Wirtschaft und Gesellschaft.
Was ist der Grund hierfür?
Es gibt viele Gründe, vom Handelsstreit zwischen den USA und China über den Brexit, die Klima- und Mobilitätsfragen bis hin zu starken politischen Umbrüchen. Niemand kann heute genau sagen, wie diese Herausforderungen im Einzelnen gemeistert werden können.
Welche Auswirkungen hat das auf die Arbeit eines Headhunters?
Die Suchaufträge werden schwieriger, die Suchprozesse deutlich komplexer.
Warum?
Weil unsere Auftraggeber Manager suchen, die in der Lage sind, ein Unternehmen trotz bestehender Unsicherheiten über die künftige geschäftliche Entwicklung zu führen. Und solche Führungskräfte zu finden – das ist gar nicht so einfach.
Wie lösen Sie dieses Problem?
Wir finden Persönlichkeiten, die in der Lage sind, ihren Organisationen einen Sinn und ein klares Ziel zu geben, und die auch durch turbulente Zeiten hindurch motivieren können. Diese Persönlichkeiten sind ehrlich zu sich selbst, sie sind neugierig, entwickeln sich ständig weiter, leben von Feedback.
Welcher der aktuellen Dax-Manager entspricht denn am ehesten diesem Typus?
Eine spannende Frage, aber zu einzelnen Persönlichkeiten beziehen wir öffentlich grundsätzlich keine Stellung.
Früher machten die meisten großen Headhuntingfirmen um den öffentlichen Sektor einen großen Bogen, weil die Auftraggeber als knausrig galten und weil die sogenannten Findungskommissionen bei der Auswahl von Kandidaten häufig nach politischen Gesichtspunkten entschieden …
Das hat sich deutlich professionalisiert. Die Auftraggeber der öffentlichen Hand wissen genau, dass ihre Organisationen auf exzellente Leadership angewiesen sind. Und dass ihnen Spitzenpersonal nicht zufliegt, sondern systematisch gesucht, gefunden und integriert werden muss.
Und trotzdem sickern immer wieder Details durch, etwa wenn ein Headhunter einen Geschäftsführer für einen kommunalen Betrieb sucht. Ist es nicht so, dass da mancher hoch qualifizierte Kandidat abspringt?
Meiner Erfahrung nach wissen die meisten Auftraggeber auch, dass strikte Diskretion einer der Erfolgsfaktoren für eine gute Besetzung ist, auch weil geeignete Kandidaten schnell abwinken, wenn Namen zu früh in den Medien kursieren. All das wird im öffentlichen Sektor heute sehr viel professioneller gehandhabt als früher. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, um ein Höchstmaß an Diskretion zu wahren, das betrifft sämtliche Informations- und Kommunikationsprozesse und ganz einfache Dinge wie den Umgang mit schriftlichen Unterlagen.
Welche Bedeutung haben die öffentlichen Auftraggeber für Egon Zehnder?
Die öffentliche Hand hält eine große Anzahl von Unternehmen und verfügt über zahlreiche bedeutende Institutionen. Damit gibt es interessante Klienten in diesem Sektor, die vor genau denselben Herausforderungen stehen wie die privatwirtschaftlich gehaltenen Unternehmen.
Wie viel Umsatz machen die Berater, die für Ihre Public Sector Practice arbeiten?
Das lässt sich nicht genau beziffern, weil unsere Berater bei solchen Aufträgen praxisübergreifend zusammenarbeiten. Hier trifft sich die Expertise im Bereich der öffentlichen Hand mit der aus verschiedenen Industrien.