Westliche Medien berichten von kleineren Demonstrationen russischer Bürger – zum Beispiel in Petersburg. Wie reagieren die Russen, die Sie kennen, auf die Berichte über den Krieg in der Ukraine?
Ich kenne niemanden hier, der sich keine Sorgen um die Menschen in der Ukraine macht. Die Russen sagen vielleicht nicht viel, aber es geht ihnen bis ins Mark, was da geschieht. Fast jeder zweite Russe hat Verwandtschaft in der Ukraine. Die Stimmung hier ist eine ganz andere als 2014, als Russland die Halbinsel Krim einnahm. Damals sah ich Euphorie, heute sehe ich nur Entsetzen und Sprachlosigkeit.
Wie reagieren die Russen auf die Sanktionen, die die EU, die USA und andere Länder über Russland verhängt haben?
Sie machen sich natürlich Sorgen. Sie sind unsicher, wie sich die Situation weiter entwickelt, haben Angst davor, dass es wirtschaftlich stark bergab geht, dass Russland weit zurückfällt. Ein deutscher Manager vor Ort in Moskau sagte vor wenigen Tagen, Russland könne vielleicht auf das Niveau von Kuba oder Nordkorea zurückfallen.
Ihre Firma hat auch ein Büro in Kiew, und Sie beschäftigen ukrainische Mitarbeiter. Wie ist die Situation dort?
Wir hatten rund 30 Mitarbeiter vor Ort in Kiew.
Die meisten von ihnen sind jetzt zum Glück im Umland, bei ihren Familien. Wir halten Kontakt zu ihnen, telefonieren. Nur zu einem unserer Mitarbeiter ist der Kontakt abgerissen. Wir machen uns große Sorgen um ihn, weil er in der Nähe eines Militärflughafens wohnt. Wir bangen um ihn und hoffen, dass er nicht verletzt oder gar tot ist.
Was tun Sie für ihre Mitarbeiter in der Ukraine?
Wir haben ihnen angeboten, dass sie nach Polen fliehen und dass wir die Flucht für sie organisieren. Wir haben ein Büro in Warschau, von wo aus unsere Kiewer Kollegen arbeiten könnten. Bisher aber wollen alle in der Ukraine bleiben. Sie sind sehr stark, tapfer und halten durch.
Einige deutsche Großunternehmen haben Joint Ventures mit russischen Unternehmen, betreiben Fabriken. Für diese Unternehmen ist es sehr schmerzhaft, wenn sie ihr Engagement in Russland herunterfahren oder gar beenden müssen. Ihre Klienten sind dagegen zumeist Mittelständler, von denen manche nur mit einer Repräsentanz oder einer Handelsgesellschaft vertreten sind. Was raten Sie diesen Unternehmen?
Wir versuchen zurzeit erst einmal zu klären, was mit der russischen Wirtschaft passiert und wie man darauf im Einzelnen reagieren soll.
Können Sie das genauer beschreiben?
Der Kurs der russischen Währung ist ja stark gefallen. Und er fällt eventuell weiter. Manche sagen, der Rubel spiele verrückt. Jedenfalls muss man genau überlegen, welche Zahlungen man schnell ausführt und welche man besser verzögert. Genauso muss man sich fragen, welche Lieferungen schnell ausgeführt werden sollen und welche man besser stoppt. Wir sehen uns die Zahlungsströme unserer Klienten an, prüfen sämtliche Risiken und suchen nach Wegen, das Vermögen unserer Klienten in Russland abzusichern.
Wie hart treffen die Sanktionen die russische Wirtschaft?
Da muss man differenzieren. Rüstungsgeschäfte mit Russland waren schon vor dieser schrecklichen Eskalation verboten. Jetzt aber treffen die Sanktionen auch Unternehmen, die Computer oder andere Hightech-Güter nach Russland liefern. Und die Sanktionen gelten auch für Geschäfte mit russischen Luftfahrt-Unternehmen.
Welche Konsequenzen haben die Sanktionen zum Beispiel für ein Unternehmen, das die Flugzeuge russischer Airlines wartet?
Ein solches Unternehmen darf keine Dienstleistungen mehr für seine russischen Kunden erbringen. Es muss seine Verträge mit den Airlines auf Eis legen und seine Mitarbeiter anweisen, sämtliche Arbeiten einzustellen. In jedem Fall aber muss man genau prüfen, was überhaupt verboten ist. Die Unsicherheit ist da sehr groß.
Beispiel?
Eine Bank in Deutschland hat uns in Euro bezahlt, obwohl eigentlich Bezahlung in Rubel vereinbart war. Das Management der Bank war offensichtlich unsicher, ob die Bank Euro in Rubel wechseln und an uns überweisen darf. Wir sind aber nicht gerade unglücklich darüber, dass wir in Euro bezahlt wurden.
Sind Überweisungen von Deutschland nach Russland und umgekehrt weiter möglich?
Ja, und nicht nur über die internationalen Banken, die in Russland vertreten sind. Es sind ja nicht alle, sondern nur sieben russische Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT abgekoppelt worden. Die Gazprombank, Tochter des russischen Gaskonzerns Gazprom, steht zum Beispiel nicht auf der Sanktionsliste. Und selbst die Banken auf dieser Liste können noch Überweisungen tätigen. Das dauert aber wesentlich länger als in normalen Zeiten.
Das hört sich an, als ob die Sanktionen viel zu lasch wären, um Putins Feldzug zu stoppen.
Die Abkopplung von SWIFT scheint eine weniger harte Sanktion zu sein, als man noch vor einiger Zeit annahm. Härter ist, dass man die russische Zentralbank auf die Sanktionsliste gesetzt hat. Das kann schwerwiegende Auswirkungen auf die russische Wirtschaft haben.
Welche?
Die Zentralbank hat zwar Gold und Devisen im Wert von etwa 630 Milliarden US-Dollar gehortet, kann diese Mittel aber nicht mehr einsetzen. 2014 war das anders. Damals konnte die Zentralbank Rubel aufkaufen und damit dessen Kurs und so die gesamte russische Wirtschaft stützen. Jetzt kann sie das wohl nur noch sehr eingeschränkt tun. Deswegen verliert der Rubel an Wert und die Importe verteuern sich so stark, dass sich die russischen Unternehmen bald keine Waren aus dem Westen mehr leisten können. Die russische Wirtschaft gerät in eine gefährliche Abwärtsspirale.
China hat keine Sanktionen verhängt. Werden chinesische Unternehmen die Lieferungen aus dem Westen ersetzen?
Die Russen schätzen die hohe Qualität deutscher Waren, insbesondere deutscher Maschinen. Chinesische Konkurrenten können da nicht mithalten. Davon abgesehen bieten deutsche Unternehmen auch wesentlich mehr Service als die Chinesen. Zumindest kurzfristig werden die Chinesen nicht die Lücke füllen, wenn ein deutscher Lieferant oder Geschäftspartner nicht mehr liefern kann oder darf.
Welche Perspektiven sehen Sie für sich und ihre Beratungsfirma?
Ich bin mit einer Russin verheiratet und werde in Moskau bleiben. Meine Kollegen und ich werden alles tun, damit unser Geschäft wenig leidet. Wir sind da deutlich besser dran als die großen Beratungsfirmen und Prüfungsgesellschaften.
Worauf stützt sich Ihr Optimismus?
Als Mittelstandsberater bieten wir eine breite Palette an Dienstleistungen – vom Briefkasten in Moskau über die Buchhaltung bis hin zur Rechts- und Steuerberatung und Interim Management. Vieles davon ist gerade in unsicheren Zeiten wertvoll. Wir sorgen jedenfalls dafür, dass sich unsere Klienten alle Optionen offen halten und dass sie wieder schnell durchstarten können, wenn bessere Zeiten kommen.