Schreibtisch, Sekretärin, Telefon: Nicht nur der deutsche Management Consultant Roland Berger hat einmal klein angefangen. Auch der Schweizer Egon Zehnder, der sich 1964 in der Wirtschaftsmetropole Zürich selbstständig machte, schuf aus bescheidenen Verhältnissen eine Firma von Weltruf. Gestern erreichte uns die Meldung, dass Zehnder im Alter von 91 Jahren verstorben ist.
Zehnder (Foto) war einer der Pioniere des Executive Search – der systematischen Suche und Direktansprache von hochkarätigen Führungskräften, heute besser bekannt als Headhunting. Dabei sah es zunächst gar nicht so aus, als wollte der Sohn eines Mittelschullehrers Kopfjäger werden. Schließlich hatte er Rechtswissenschaften in Zürich studiert und obendrein in dem Fach promoviert. Doch die praktische Arbeit mit der trockenen Materie habe ihm wohl nicht so recht geschmeckt, schreibt die Neue Zürcher Zeitung in einem Nachruf.
Wie auch immer: Zehnder ging in die USA und studierte an der renommierten Harvard Business School.
Der MBA-Titel, den er dort erwarb, öffnete ihm die Türen für eine Karriere beim Werbekonzern McCann Erickson. Aber auch dort hielt es der junge Mann nicht lange aus. 1960 schloss sich Zehnder einem gewissen Spencer („Spence“) Stuart an, der gerade mal ein Jahr für die Headhuntingfirma Heidrick & Struggles gearbeitet und sich dann selbstständig gemacht hatte. Stuart wollte sein Unternehmen stärker international ausrichten. Und Zehnder sollte für ihn das Europa-Geschäft aufbauen.
Freundlich-charmante Art
Executive Search – Zehnder hasste den Begriff Headhunting – war damals völlig neu in Europa. Der junge Consultant musste seine Dienstleistung sicher oft erklären und um Aufträge kämpfen. Aber mit seiner freundlich-charmanten Art setzte er sich durch und gewann wichtige Kunden – etwa Alfred Schäfer von der Schweizerischen Bankgesellschaft oder Hermann Josef Abs, den legendären Chef der Deutschen Bank.
Schäfer soll Zehnders Dienstleistung einmal mit der Arbeit eines Brokers oder Maklers verglichen haben. Zehnder habe sich nach dem Gespräch mit dem Banker fast schmutzig gefühlt, schreibt das Wirtschaftsmagazin Bilanz. Es habe ihn mehr als nur gestört, dass er nicht als Berater auf Augenhöhe, sondern als windiger Provisionsjäger gesehen wurde.
Zehnder wollte weg von dem Schmuddel-Image. Bei Spencer Stuart machte er sich für eine Abkehr vom provisionsbasierten Honorarmodell stark. Nach diesem Modell erhält ein Kopfjäger üblicherweise ein Drittel von dem, was die platzierte Person an Gesamtbezügen bekommen soll. Zehnder machte den Vorschlag, auf der Basis eines vorab festgelegten Honorars zu arbeiten, wobei er das Honorarvolumen am Aufwand der Dienstleistung bemessen wollte. Spencer Stuart war strikt dagegen. Es kam zum Bruch zwischen den beiden Männern. Zehnder begann seine eigene Firma aufzubauen.
Exot unter den Headhuntern
Seit der Trennung von Spencer Stuart gilt Zehnder als Exot unter den Headhuntern. So trat sein Unternehmen anders als Spencer Stuart, Korn Ferry oder andere Wettbewerber nie dem Branchenverband AESC bei. Grund: In der „Association of Executive Search Consultants“ dominieren Firmen, deren Berater auf Provisionsbasis arbeiten.
Stattdessen orientierte sich der Schweizer an Marvin Bower, dem Gründer der New Yorker Beratungsfirma McKinsey & Company. Bowers Credo, wonach Consulting kein schnödes Geschäft sei, sondern eine ehrbare, freiberufliche Tätigkeit wie die eines Rechtsanwalts – Egon Zehnder hätte das sicher unterschrieben.
Im Unterschied zu McKinsey gab es bei ihm aber kein „up or out“ – also keine Trennung von Consultants, die nicht mehr weiter im Unternehmen nach oben klettern konnten. Stattdessen ließ sich der Schweizer stets sehr viel Zeit bei der Auswahl des eigenen Personals, stellte auch nie jemanden von der Konkurrenz ein, weil man bei anderen Firmen ja meist an provisionsbasierte Honorare gewöhnt war. Zehnder suchte sein Personal stets bei Unternehmen anderer Branchen, wobei er gerne Consultants von McKinsey und andere Management Consultants anheuerte.
Über 500 Consultants, 727 Millionen Dollar Umsatz
So wie Spencer Stuart setzte Zehnder entschlossen auf Internationalisierung. Bereits fünf Jahre nach dem Start in die Selbstständigkeit expandierte er nach Brüssel und Paris. Heute zeigt die Firma mit ihren über 500 Beraterinnen und Beratern Präsenz in den wichtigsten Wirtschaftsmetropolen rund um den Globus. Mit einem Umsatz von 727 Millionen US-Dollar (umgerechnet etwa 641 Millionen Euro) zählt die Firma weltweit zu den Top Five des Search Business.
Die Consultants von Zehnders deutscher Tochtergesellschaft sind mit einem Umsatz von knapp über 100 Millionen Euro (Geschäftsjahr 2019/2020) hierzulande Marktführer. Dabei steht der Name der Firma nicht nur für die Besetzung von Spitzenpositionen in Privatwirtschaft und öffentlichem Sektor. Zum Leistungsportfolio gehören auch Dinge wie die Entwicklung von Führungspersönlichkeiten und Teams – oder auch Nachfolgeplanung.
Apropos Nachfolgeplanung: Bereits 1976 übertrug Egon Zehnder die meisten seiner Firmenanteile auf seine Partnerinnen und Partner. Vor etwa zehn Jahren trennte er sich auch von seinen goldenen Aktien, den sogenannten A-Shares, die ihm ein Vetorecht garantierten – etwa gegen die Umbenennung der Firma, einen Verkauf oder einen Börsengang.
„Egon war eine herausragende Unternehmerpersönlichkeit“, sagt die Engländerin Jill Ader, die heute als Vorsitzende des Verwaltungsrats („Chairwoman“) an der Spitze der Egon Zehnder International AG steht. Und: „Seine Persönlichkeit prägte einen der Kernwerte unserer Firma: Großzügigkeit“, so Ader weiter.
Egon Zehnder verstarb bereits am vergangenen Dienstag, den 16. November, nach kurzer Krankheit. Er hinterlässt fünf Kinder.
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19. November 2021 / Text: pan / Firmenfoto: Egon Zehnder International