Zäsur bei Zehnder: Jillian („Jill“) Ader, 61, Vorsitzende des Verwaltungsrats der Egon Zehnder International AG, räumt zum 1. November 2022 ihren Posten. An ihre Stelle rückt der 57-jährige frühere Deutschlandchef der in Zürich ansässigen Headhunterfirma, Michael Ensser. Ensser war gestern von den Partnern der Firma zum neuen Vorsitzenden („Chairman“) gewählt worden.
Der promovierte Politikwissenschaftler Ensser ist in Kreisen der Wirtschaft bestens bekannt. Schließlich hatte der „Teamspieler mit sportlichem Ehrgeiz“ (Ensser über sich selbst) in seinen 25 Dienstjahren bei Egon Zehnder bereits mehrere Leitungsfunktionen inne. So führte er als Managing Partner zunächst das deutsche Geschäft der Firma, baute dabei die Marktführerschaft im Executive Search deutlich aus und erweiterte das Beratungsportfolio - siehe ConsultingStar, Interview vom 8. Dezember 2016.
Eine der ersten Adressen
Heute ist Egon Zehnder nicht nur eine der ersten Adressen im Search Business. Neben der Beratung rund um die Besetzung von Spitzenposten in Wirtschaft und öffentlichem Sektor bieten die Consultants ihren Auftraggebern auch Nachfolgeplanung und spezielle Trainings, vor allem wenn es um das Entwickeln von Führungspersönlichkeiten, Teams oder Organisationen geht.
Ensser, Vater von vier Kindern, Literatur- und Fußballfan, hat seine Karriere als Vorstandsassistent bei der Berliner Treuhandanstalt gestartet.
Dort war er von Zehnders Beratern entdeckt und schließlich abgeworben worden. Seit einigen Jahren sitzt der Deutsche (Foto) auch im Verwaltungsrat der Egon Zehnder International AG. Außerdem leitet er die sogenannte Board Academy: Das Institut hatte Zehnder gemeinsam mit dem Beratungshaus McKinsey und der Prüfungsgesellschaft KPMG ins Leben gerufen. Dort werden Manager und andere Personen für die Übernahme von Aufsichtsratsjobs geschult.
Der Wechsel von Ader zu Ensser finde „turnusgemäß“ statt, betont die Firma in einer gestern veröffentlichten Mitteilung. Das klingt ganz nach Routine und glattem Wechsel. Weiter heißt es: Wahlen gebe es alle drei Jahre. Die Amtszeit eines Verwaltungsratsvorsitzenden umfasse maximal acht Jahre, mithin zwei Amtszeiten. Ader werde entsprechend der Governance von Egon Zehnder mit ihrem 62. Lebensjahr die Partnerschaft verlassen. Die Engländerin werde aber weiterhin als Senior Advisor tätig sein und sich der Klientenarbeit widmen.
Same same, but better?
Business as usual? Oder gar: Same same, but better? Unbestreitbar befindet sich Egon Zehnder auf klarem Erfolgskurs. 2021 kassierten die Headhunter weltweit 804 Millionen Schweizer Franken an Honorar, umgerechnet etwa 790 Millionen Euro. Wechselkursbereinigt entspreche dies einem Plus von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr, so die Firma.
Und trotzdem: Bei den Headhuntern hat sich innerhalb weniger Jahre sehr viel geändert. So hat die Firma Ende des letzten Jahres ihren „Übervater“ (die Schweizer „Handelszeitung“ über Firmengründer Egon P.S. Zehnder) verloren. ConsultingStar hatte darüber am 19. November 2021 berichtet.
Die Berater haben auch ihren Stammsitz in Zürich aufgegeben, jene fast schon bescheidene, aber sorgsam gepflegte Villa am Fuß des Zürichbergs, die dem Namensgeber der Firma selbst gehört hatte. Heute residieren die Consultants in einem sündhaft teuren, luxussanierten Bürobau aus den 1960er Jahren mit Panoramablick über den Zürichsee.
Eine Art Putsch
Bestes Beispiel aber für die Veränderungen bei Zehnder ist Jill Ader selbst. Die Engländerin war 2018 nicht nur die erste Frau an der Spitze von Egon Zehnder International. Sie war außerdem in einer Art Putsch Präsidentin geworden. Denn seit der Firmengründer im Jahr 2000 den Chefsessel räumte, galt die ungeschriebene Regel, dass der CEO automatisch ins Amt des Verwaltungsratspräsidenten aufrückt. So sollte 2018 eigentlich der damalige CEO, der Inder Rajeev Vasudeva, Vorsitzender des Verwaltungsrats werden. Doch dann trat Ader als Gegenkandidatin auf und wurde prompt zur „Chairwoman“ gewählt.
Aders bestechendes Argument für ihre Kandidatur: Es sei nicht mehr zeitgemäß, dass der CEO eines Unternehmens nahtlos in den Verwaltungsrat wechselt. Ihr unterlegener Rivale galt zudem als zahlengetriebener Manager. Insidern zufolge sei Vasudeva angeeckt, weil er sich von manchen Partnern trennen wollte. Bei Zehnders Consultants, die der Firma meist über den Ruhestand hinaus die Treue halten, sei das nicht gut angekommen. „Jill verkörpert eher die ursprünglichen Werte der Firma“, zitierte damals die Düsseldorfer Wirtschaftszeitung Handelsblatt einen ungenannten Firmenkenner.
Ader war nicht nur die erste Person bei Egon Zehnder, die als Vorsitzende des Verwaltungsrats fungierte, ohne zuvor als CEO das operative Geschäft der Firma geleitet zu haben. Sie war auch die erste Frau an der Spitze einer der fünf großen, weltweit vertretenen Headhunterfirmen. Neben Zehnder sind das Korn Ferry, Spencer Stuart, Heidrick & Struggles sowie Russell Reynolds.
„Einzigartiges geleistet“
„Jill Ader hat als Chair Einzigartiges geleistet“, lobt Edilson („Ed“) Camara, CEO von Egon Zehnder. Der Brasilianer leitet seit Ende 2018 das operative Geschäft der Firma und zeichnet damit in erster Linie für die beeindruckenden Umsatzzahlen verantwortlich. Noch mehr Lob: Ader habe Egon Zehnder International in eine Zeit geführt, in der man Search und Leadership Advisory weltweit und integriert anbiete. Und: Sie habe für eine weitere Modernisierung der Firma mit ihren weltweit 3000 Mitarbeitenden gesorgt, sagt Camara.
Dennoch entsteht irgendwie der Eindruck, dass nach dem Wechsel an der Spitze wieder jene konservativen, zahlengetriebenen Menschen, von denen sich Ader wohltuend unterschieden hatte, das Sagen in der Firma haben werden. Klang nicht das Lob bei der Verabschiedung von Rajeev Vasudeva als CEO ähnlich süß wie jetzt, beim Wechsel von Ader zu Ensser?
Fest steht: Nur wenige Monate nach seiner Niederlage beim Kampf um den Vorsitz im Verwaltungsrat verließ Vasudeva Egon Zehnder International auf Nimmerwiedersehen.
---------------------
22. Juni 2022, aktualisiert am 23. Juni / Text: pan, Firmenfoto: Egon Zehnder International